O Fortuna!
Mit diesen Worten beginnt machtvoll eines der beliebtesten Werke der modernen Chorliteratur. Die in den “Carmina burana” zusammengefassten Texte “stammen von den fahrenden Spielleuten des Mittelalters. Ein volkstümlich weltfroher, naturhafter, oft von zartester Poesie getragener, gelegentlich derb sinnlicher, ja lasziver Ton kennzeichnet diese aus merkwürdigem Kauderwelsch von einfachstem Latein (Küchenlatein) und Mittelhochdeutsch, auch altfranzösischen Wendungen zusammengesetzten Gedichte der Vaganten.” So ein Zitat von Jürgen Mainka auf einer alten Schallplattenhülle. Gemeinsam mit unseren Gästen, Sängern und Musikern aus ganz Mitteldeutschland ist es uns recht gut gelungen, diese ganz unterschiedlichen Stimmungen zu transportieren. Der lange Beifall am Schluss der reichlichen Stunde gab uns die Gewissheit, dass diese Stimmungen beim Publikum in der nahezu voll besetzten Johanniskirche in Gera angekommen waren.
Carl Orffs meistgespieltes Werk ist ein “Mount Everest”, wie unser Leiter Benjamin Stielau feststellte. Takt- und Tempiwechsel, ständige Änderungen in der Dynamik und nicht zuletzt viel, viel Text bedeuten jede Menge Arbeit und ein hohes Maß an Konzentration. In der selten gespielten Fassung für zwei Klaviere, Schlagwerk, Sopran, Tenor, Bariton, Chor und Kinderchor kommt das wichtigste Element der Orffschen Tonsprache, der Rhythmus, ganz besonders zur Geltung. Das Werk ist, ohne irgendeine zeitliche Reihenfolge der Texte in drei Teilen angelegt. Der “Frühling” kommt lyrisch, wird strahlend hell und freudig. Man geht zum Tanz, die Mädchen schmücken sich und haben Angst, dass ihr Liebster davonreitet.
Der Abschnitt “In Taberna” bietet dem Männerchor die Gelegenheit zu glänzen und “dem Affen Zucker zu geben”, wie man so schön sagt. Und Trinklieder kann wohl jeder Männerchor, wenn vielleicht auch nicht so anspruchsvolle wie “In Taberna quando sumus”. Eigentlich ist das Werk als szenische Kantate angelegt und dem Tenor kommt eine besondere Rolle zu, nämlich die des gebratenen Schwans. Raoni Hübner hat die Rolle meisterhaft ausgefüllt: mit gequälter Stimme klagt er sein Leid, als einstmals stolzer Vogel nun arg verbrannt auf einer Platte zu liegen und “bleckende Zähne um sich her zu sehen (“volitare nequeo dentes frendentes video”). Man sah ihm die Angst vor dem Aufgegessenwerden geradezu an.
Der Mädchenchor leitete den dritten Teil ein. Am “Cour d’amours” wird die Liebe mit all ihren Freuden und Leiden manchmal recht deftig besungen. Annick Vettraino gestaltete mit ihrem klaren Sopran die Liebe des Mädchens, ihren Zweifel und ihre Sehnsucht nach dem Liebsten, André Rabello besingt als Bariton die Schönheit des Mädchens und die Hoffnung auf ihre Liebe.
Umrahmt werden die drei Teile vom Rad der Fortuna, dem Glücksrad. Es steht als Sinnbild für die Vergänglichkeit des Glücks, dreht sich, alle Hoffnungen und Freuden werden emporgetragen, um kurz darauf bereits wieder in und Jammer und Klagen zu versinken. Ein mächtiger Schlusschor beschloss das Werk: “O Fortuna, velut Luna statu variabilis!” und noch bevor der letzte Ton verklungen war, brandete minutenlanger Beifall auf.
Bereits seit Jahresbeginn wurde in vielen Proben geübt und gefeilt, geflucht und gelacht und gesungen. Manche Stellen liefen noch in der Generalprobe gründlich schief, was dem Leiter des Projekts, Benjamin Stielau, vermutlich ein paar graue Haare beschert hat. Zum Glück spielt bei den eigentlichen Konzerten das Adrenalin der Aufregung dann doch eine nicht ganz unbedeutende Rolle – es sorgt für mehr Konzentration und Aufmerksamkeit. Die schwierigen Stellen verliefen am Ende dann vielleicht nicht perfekt, aber doch so gut, dass die kleinen Patzer kaum eine Rolle gespielt haben. Wenn unser Chef uns schon lobt, dann will das was heißen: “Mein höchster Respekt und größter Dank für eine gelungene und emotionale Aufführung der Carmina Burana gestern vor vollem Haus in Gera. Trotz immer knapper Probenzeit und einem Werk, das allen höchste Konzentration und Kraft abverlangt, war es eine sehr sehr professionelle und insgesamt “runde” Aufführung.” Über dieses Lob freuen wir uns ganz besonders, spornt es uns doch an, alle Kraft in die kommenden Projekte zu legen. Das nächste steht schon vor der Tür: Am 3. Oktober 2024 wird in Auerbach / Vogtland die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven aufgeführt. Soll wohl schon ausverkauft sein – wir freuen uns sehr!