Ein langes Wochenende in Prag – eine herrliche Vorstellung, die “goldene Stadt” zu besuchen, ihre Sehenswürdigkeiten (wenigstens einen klitzekleinen Teil) zu erleben, tschechische Spezialitäten zu kosten, die quirlige Athmosphäre zu genießen. Wir wollten uns für einige Jahre anstrengender Konzertarbeit belohnen und auch menschlich ein Stück weit zusammenrücken und buchten deshalb vom 3. bis 6. Oktober eine Busfahrt in die tschechische Hauptstadt. Mit Thomas von Herzum Tours erwischten wir einen lustigen, um keinen Spaß verlegenen Busfahrer, der zum allerersten Mal eine Reisegruppe für mehrere Tage begleiten sollte. (Nebenbei: diese Härteprüfung hat er mit Bravour bestanden!) Zunächst machten wir Halt in Auerbach für ein Konzert der IX. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, und nach einer Regen- und Nebelfahrt durchs dunkle Erzgebirge kamen wir zu später Stunde in unserem Hotel in Prag an. Nur eine kurze Nacht war uns vergönnt, denn schon am Morgen 9.00 Uhr erwartete uns Milena, die für zwei Tage unsere kompetente und lustige Begleitung sein würde.
Das erste Ziel am Freitag war Kloster Strahov. Die im 12. Jahrhundert gegründete Abtei des Prämonstratenser-Ordens, im Stadtteil Hradčany gelegen, beherbergt eine der schönsten Barockbibliotheken in Böhmen. Im ältesten Teil der Bibliothek befindet sich der Theologische Saal mit wertvollen theologischen Schriften und Übersetzungen der Bibel. Prunkstück der Ausstellung ist eine Kopie des “Evangeliar von Strahov”, einer Handschrift aus dem 9./10. Jahrhundert. Verständlicherweise liegt das Original geschützt in den Archiven. Der Philosophische Saal beeindruckt nicht nur mit seiner schier unübersehbaren Zahl an philosophischen, mathematischen, juristischen, medizinischen, pharmazeutischen, geografischen und astronomischen Büchern, auch die prächtigen Deckenfresken und das Mobiliar aus Nussbaumholz überwältigen geradezu. Durch den Bau dieses der Öffentlichkeit zugänglichen Saals konnte das Kloster vor der Schließung bewahrt werden. Ein großer Teil der kostbaren Inneneinrichtung stammt aus dem aufgelösten Kloster Louka. Besonders kurios: die großen Bücherregale passten nicht in den neuen Saal. Deshalb wurde der Saal noch einmal baulich erweitert, so dass die herrlichen Regale quasi nahtlos eingepasst werden konnten. Die beiden Säle sind durch ein Kuriositätenkabinett verbunden mit seinerzeit interessanten Naturgebilden, Ausgrabungen, verschiedenen Globen und einer “Baumbibliothek”. Das sind wie Bücher gestaltete Kästen, die für jeden Baum Blätter, Zweige, Blüten, Früchte, Rinde etc. enthalten. Eine nette Idee, finde ich jedenfalls. Außer der Bibliothek kann man noch eine Gemäldesammlung und eine Schatzkammer besichtigen und natürlich die Klosterkirche Mariä Himmelfahrt und die St.-Rochus-Kirche.
Wir aber haben jetzt Durst bekommen und überqueren den Hof, um in die klostereigene Brauerei zu gelangen. Mit Unterbrechungen wird hier ebenfalls seit dem 12. Jahrhundert ein Bier gebraut, das viele sogar für das beste Bier in ganz Tschechien halten. Nun, das ist eine Geschmacksfrage und der wollen wir hier auf den Grund gehen und drei Sorten des “St. Norbert Bieres” (genannt nach dem Gründer des Prämonstratenser-Ordens) verkosten. Kaum haben wir uns an den Tischen verteilt, kommt schon gleich die erste “Koste”-Runde. Ich setze das deshalb in Anführungszeichen, weil die Probiergläser immerhin 0,25 Liter fassen. Das ganze mal drei – da kommt schon eine Menge Lustigkeit zusammen. Entsprechend laut wird es auch und mindestens an einem Tisch wird man sich hinterher über Bauchmuskelkater nicht zu beschweren haben. Anschließend werfen wir noch einen Blick in den Brauraum und erhalten noch eine kurze Erläuterung zum Bierbrauen.
Der Rest des Tages steht zur freien Verfügung und so kann sich jeder nach Lust und Laune noch die Stadt ansehen: Von oben (vom Hradschin aus gesehen) oder von unten aus den Gassen heraus. Beides bietet herrliche Blicke auf St.-Veits-Dom und Karlsbrücke. Auch und besonders am Abend lädt Prag zum Bummeln, Schauen und Hören ein, denn nahezu in jeder Kirche gibt es am Abend ein kleines Konzert. Und natürlich sollen auch die leiblichen Genüsse nicht zu kurz kommen. Neben dem allseits beliebten Bier sind natürlich böhmische Knödel und Gulasch auf jeder Speisekarte zu finden. Lecker! Reichlich fußlahm fallen wir spät in unsere Betten.
Der Samstag beginnt mit einer Rundfahrt im Bus durch die Stadt. Wir fahren nicht an den bekanntesten Sehenswürdigkeiten vorbei, denn die haben wir ja gestern schon zu Fuß erkundet. Statt dessen fahren wir durchs Diplomatenviertel mit den Botschaften der Welt, kommen am Wenzelsplatz vorbei (der im übrigen nichts weiter als eine breite Straße ist und derzeit eine Baustelle). Milena erzählt uns über die Stadtmagistrale, zu der sie ein recht zwiespältiges Verhältnis hat, denn für den Bau dieser Straße wurde eine schöne Promenade mit viel Grün direkt an der Moldau geopfert. Sie lotst unseren Busfahrer durch kleine Straßen, wundert sich, dass er bei “Gelb” an der Ampel anhält (“Warum denn? Wir sind in Prag, einfach fahren! Ist nur ne Empfehlung!”), lässt ihn links abbiegen, wo es eigentlich nicht erlaubt ist (“Das Schild haben wir nicht gesehen.”). Zum Glück ist am Samstag Vormittag nur wenig Verkehr und alles geht gut. Wir fahren jetzt zur Burg Karlstein, südwestlich von Prag, oberhalb des Flusses Berounka gelegen. An diesem Fluss, so erzählt uns Milena, bauten sich mangels Reisemöglichkeiten viele Prager vor der Wende ein kleines Ferienhäuschen. Im Sommer 2002, während des verheerenden Hochwassers, das auch in schwere Schäden angerichtet hatte, wurden viele der leichten Häuser einfach weggespült. Das führte dann zu mitunter sehr schwarzhumorigen Verkaufsanzeigen: “Verkaufe Ferienhäuschen, zu finden derzeit in Dresden”. Auch heute stehen viele kleine und inzwischen auch größere Häuser am Ufer der Berounka, die Preise für die Grundstücke dürften inzwischen deutlich in die Höhe geschossen sein.
Die Burg Karlstein, oder Karlštejn, wie es auf tschechisch heißt, wurde 1348 von Karl IV. erbaut. Dieser durchaus streitbare König ist in Tschechien und insbesondere in Prag sehr beliebt, hat er sich doch um die geistig-kulturelle Entwicklung sehr verdient gemacht. So gründete er 1348 die erste Universität im östlichen Mitteleuropa, die seinen Namen trägt und leitete den Baubeginn des Veitsdoms. Durch seine Tätigkeit entwickelte sich Prag zur “Goldenen Stadt”, zur Quasi-Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches. Die Burg Karlstein diente als Schatzkammer der Reichskleinodien des Heiligen Römischen Reiches (die wurden während der Hussitenkriege nach Nürnberg in Sicherheit gebracht und liegen heute im Prager Veitsdom). Die wechselvolle und interessante Geschichte der Burg kann man im Netz nachlesen, eine Sage dazu erzählte uns Milena: Die Burg sollte Karl auch als Rückzugsort dienen. Nur Männer hatten Zugang, Frauen durften das Gelände nicht betreten. Nicht einmal Karls Gemahlin Elisabeth, eine Enkelin des polnischen Königs Kasimir der Große, hatte Zugang. Elisabeth war jedoch kein braves Frauchen, dass Ge- und Verbote bezüglich ihrer Person ernst nahm und so verkleidete sie sich als Mann, um in die Burg zu gelangen. Als die Sache aufflog, gab sich Karl pragmatisch, Elisabeth durfte bleiben und nach und nach bekamen auch die Frauen der anderen Burgbewohner Zutritt.
Karl IV., in Frankreich erzogen, war auch ein Weinliebhaber. Deshalb verfügte er per Dekret, dass auf jeder freien Fläche und damit auch an den Hängen der Burg Wein angebaut werden solle. Auch heute noch wird Wein gekeltert, man kann ihn auch in den vielen Souvenierläden im Dorf Karlštejn erwerben. Wie er schmeckt, weiß ich leider nicht, laut Milena soll er wohl sehr trocken sein. Während einer Führung konnten wir unter anderem den Rittersaal besuchen, der als Aufenthaltsraum für die Gefolgsleute des Burggrafen gedacht war. Hier stehen unter anderem schön bemalte Schränke, in denen die Männer ihre Ausrüstung und Waffen aufbewahren konnten. Im Schlafzimmer des Königs steht ein Himmelbett, es scheint winzig in dem großen Raum. Aber das täuscht, wie uns der Führer erzählte. Das Bett ist tatsächlich zweimal zwei Meter groß. Im Audienzsaal steht der Thron mit dem Rücken zum Fenster. So konnte der Herrscher in die Gesichter der Besucher blicken, während er selber im Schatten lag. Festsaal, Ahnensaal, Kapelle des Heiligen Kreuzes (die wir leider nicht besichtigen konnten) – es gibt viel zu sehen und viel Wissenswertes zu erfahren. Irgendwann macht aber jeder Geist schlapp, deshalb wandern wir wieder zurück ins Dorf, wo uns in einem Gasthaus noch Kaffee und Apfelstrudel erwartet. Dann gehts mit dem Bus wieder zurück in die Stadt. Hier verabschieden wir uns von Milena, die uns zwei sehr spannende und vergnügliche Tage bereitet hat.
Ein Teil unserer Gruppe hat sich für den Abend noch ein besonderes Programm vorgenommen. In der Spanischen Synagoge wird es eines der oben genannten Konzerte geben, außerdem soll die Synagoge außerordentlich prächtig sein. Erbaut im maurischen Stil Mitte des 19. Jahrhunderts ist sie die jüngste Synagoge in Prag. Sie steht an der Stelle der ehemals ältesten Synagoge, der “Altschul”, die, im Laufe der Zeit immer wieder bei Progromen zerstört und wieder aufgebaut, 1867 entgültig abgerissen wurde. Eine beeindruckende dreiteilige Fassade und vor allem die kunstvolle Innenausstattung mit bemalten und vergoldeten Stuckarabesken und Ornamenten nach dem Vorbild der Alhambra sowie Buntglasfenstern heben sie aus den anderen Synagogen heraus. Wegen ihrer Akkustik wird sie auch als Konzertsaal genutzt. An den Seiten und auf den Emporen gibt es eine Dauerausstellung über die Geschichte der tschechischen Juden bis zum Holocaust. Leider war uns nicht viel Zeit vergönnt, diese prachtvolle Synagoge ausgiebiger zu besichtigen. Erst eine Viertelstunde vor Konzertbeginn durften wir das Gebäude betreten und mussten es danach sofort wieder verlassen. Zwei Tage vor dem Jahrestag des Überfalls der Hamas auf Israel ist es wohl kein Wunder, dass die jüdischen Gemeinden mehr als wachsam sind.
Den Abend beschließen wir in einem Restaurant, nachdem wir mit viel Mühe einen freien Platz gefunden hatten. Am Samstagabend ist die Prager Altstadt einfach nur voll. Kein Wunder, die Beleuchtung macht aus den bekannten Bauwerken wie Karlstor und -brücke, der Prager Burg samt Veitsdom und den herrlichen Bürgerhäusern wahre Kunstwerke.
Ziemlich müde machen wir uns auf den Weg zurück ins Hotel. Unser Aufenthalt in Prag geht zu Ende, ein Erlebnis, an das wir uns noch lange erinnern werden. Bloß das Wetter, das hätte wahrlich etwas besser ausfallen können. Bei Sonnenschein hätte die “Goldene Stadt” wohl noch mehr geglänzt. Aber was solls? Bei Sonnenschein kann ja jeder und “nur die Harten komm’n in’n Garten”. Thomas brachte uns am Sonntag sicher wieder nach Gera zurück und wir richten den Blick auf kommende Aufgaben. Weihnachten steht vor der Tür – die Proben für das Weihnachtsoratorium am 21. Dezember 2024 in Weida beginnen!